Wettbewerbsrecht

Onlinehändler haften nicht für den Inhalt irreführender Kundenbewertungen

21.02.2020

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.02.2020

- I ZR 193/18 -


Der unter anderem für Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat über die Frage entschieden, ob den Anbieter eines auf der Online-Handelsplattform Amazon angebotenen Produkts für Bewertungen des Produkts durch Kunden eine wettbewerbsrechtliche Haftung trifft.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es darum, dass der Kläger als eingetragener Wettbewerbsverein die Beklagte als Händlerin auf Unterlassung in Anspruch nahm wegen angeblich irreführender Werbung.

Die Beklagte vertreibt unter anderem auf der Online-Handelsplattform Amazon sogenannte „Kinesiologie-Tapes“. Bereits in der Vergangenheit hatte sie diese Produkte damit beworben, dass diese zur Schmerzbehandlung geeignet seien. Dies ist allerdings nach dem sogenannten „Strengeprinzip“ in Bezug auf medizinische Werbeaussagen nur dann erlaubt und nicht wettbewerbswidrig, wenn die Werbeaussage medizinisch gesichert nachweisbar ist.

Nach Inanspruchnahme durch den jetzigen Kläger hatte die Beklagte am 04.11.2013 gegenüber diesem eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Auf der Online-Handelsplattform Amazon wird für jedes Produkt über die sogenannte EAN (European Article Number) eine diesem Produkt zugewiesene Amazon eigene Identifikationsnummer zugewiesen (ASIN = Amazon Standardidentifikationsnummer), die sicherstellen soll, dass beim Aufruf eines bestimmten Produkts die Angebote sämtlicher Anbieter dieses Produkts angezeigt werden. Zudem besteht auf Amazon die Möglichkeit, dass Kunden, die dort Produkte erworben haben oder nicht, diese auch bewerten können. Amazon weist dann diese Bewertungen offenbar ohne nähere Prüfung dem unter der entsprechenden ASIN geführten Produkt zu. Dies hat dann zur Folge, dass unter einem bestimmten von einem bestimmten Händler vertriebenen Produkt auch Bewertungen zu finden sind, die zwar das gleiche Produkt betreffen, das aber nicht von diesem Händler verkauft wurde.

Vorliegend ging es nun um ein Angebot der Beklagten bei Amazon von „Kinesiologie Tapes“ am 17.01.2017. Bei diesem Angebot waren offenbar Kundenrezensionen abrufbar, die unter anderem die Hinweise „schmerzlinderndes Tape!“, „This product ist perfekt for pain …“, „Schnell lässt der Schmerz nach“, „Linderung der Schmerzen ist spürbar“, „die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg“ und „Schmerzen lindern“ enthielten. Der Kläger forderte daraufhin von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe. Die Löschung der Kundenrezensionen lehnte Amazon auf Anfrage der Beklagten ab.

Die Beklagte wurde daraufhin vom Kläger gerichtlich auf Unterlassung und Zahlung der Vertragsstrafe sowie der Abmahnkosten in Anspruch genommen. Zur Begründung berief sich dieser darauf, die Beklagte habe sich die Kundenrezensionen zu eigen gemacht und hätte auf ihre Löschung hinwirken müssen. Falls dies nicht möglich sei, hätte sie die Produkte bei Amazon nicht anbieten dürfen.

Zunächst hatte das Landgericht Essen mit Urteil vom 30.08.2017 – 42 O 20/17 die Klage abgewiesen mit der Begründung, es bestehe kein Anspruch aus § 8 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG. Die vom Kläger sodann zum Oberlandesgericht Hamm eingelegte Berufung hatte ebenfalls keinen Erfolg. In dem Urteil vom 11.09.2018 – 4 U 134/17 führte das OLG zwar aus, die in den Kundenrezensionen enthaltenen gesundheitsbezogenen Angaben seien irreführend, stellten aber keine Werbung dar. Zumindest wäre eine solche Werbung der Beklagten nicht zuzurechnen. Die Verantwortlichkeit der Beklagten ergebe sich auch nicht aus einem Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten im Sinne des § 3 Abs. 2 UWG. Der Kläger legte sodann die zugelassene Revision ein und verfolgte seinen Anspruch gegen die Beklagte weiter.

Der BGH folgte nun der Rechtsauffassung des OLG Hamm und entschied, dass die Beklagte als Händler mit den Kundenbewertungen nichts beworben habe. Die Kundenbewertungen seien zwar irreführende Äußerungen Dritter, weil die behauptete Schmerzlinderung durch Kinesiologie-Tapes medizinisch nicht gesichert nachweisbar sei. Die Beklagte habe mit den Kundenbewertungen aber nicht geworben. Nach den (rechtsfehlerfrei) getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichtes (OLG Hamm) habe die Beklagte weder selbst aktiv mit den Bewertungen geworben oder diese veranlasst, noch habe sie sich die Kundenbewertungen zu eigen gemacht, indem sie die inhaltliche Verantwortung dafür übernommen hat. Die Kundenbewertungen seien vielmehr als solche gekennzeichnet, befänden sich bei Amazon getrennt vom Angebot der Beklagten und würden von den Nutzerinnen und Nutzern nicht der Sphäre der Beklagten als Verkäuferin zugerechnet.

Zudem führte der BGH aus, dass die Beklagte auch keine Rechtspflicht treffe, eine Irreführung durch die Kundenbewertungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 2 Nummer 1 UWG zu verhindern. Durch ihr Angebot auf Amazon werde keine Garantenstellung begründet. Von ausschlaggebender Bedeutung sei dabei, dass Kundenbewertungsysteme auf Online-Marktplätzen gesellschaftlich erwünscht seien und verfassungsrechtlichen Schutz genössen. Das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehörten, zu informieren oder auszutauschen, werde durch das Grundrecht der Meinung- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Eine Abwägung mit dem Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit, die als Gemeinschaftsgut von hohem Rang einen Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, bedarf es hier nicht, weil Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung bei dem Angebot von Kinesiologie-Tapes fehlten.

Damit hat der BGH nicht nur entschieden, dass Händler im Internet nur unter bestimmten eng abgegrenzten Voraussetzungen für ggf. irreführende Aussagen in Kundenbewertungen haften. Er hat darüber hinaus entschieden, dass Onlinehändler nicht einmal verpflichtet sind, ggf. irreführende Kundenbewertungen zu löschen oder das Angebot einzustellen.

 

Sollten Sie eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung erhalten, empfehlen wir grundsätzlich, die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen, da unter Umständen schnell und richtig reagiert werden muss und die Streitwerte oftmals hoch sind, was zu einem immensen Kostenrisiko führen kann. Besonderes Augenmerk ist dabei auf Abmahnungen von Wettbewerbsverbänden zu legen, die – dies hat das vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs auch gezeigt – nicht immer richtig liegen. Ob aber im Einzelfall es sich vor dem Hintergrund von Kosten und der Rechtslage lohnt, sich gegen eine Abmahnung zur Wehr zu setzen oder ob nicht doch besser eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben werden soll, kann Ihnen nur durch fachliche Hilfe, am besten durch erfahrene Rechtsanwälte beantwortet werden.

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